Friedrich Luft – die Stimme der Kritik

An den Theaterkritiker und Autor  Friedrich Luft wird seit dem 24. August 2011 mit einer Gedenktafel in Berlin-Schöneberg erinnert. Sie wurde am ehemaligen RIAS-Funkhaus am Hans-Rosenthal-Platz enthüllt. Anlass ist der 100. Geburtstag des Kritikers. Luft war einer der bekanntesten Theaterkritiker Deutschlands. Seine unvergessene „Stimme der Kritik“ hat das Berliner Kulturleben über Jahrzehnte geprägt. Er hat die Kulturgeschichte Deutschlands und des RIAS geprägt wie kein anderer. Kritik kompetent, populär, persönlich und immer vergnüglich. Am Heiligen Abend 1990 stirbt er. Die Sendung „Die Stimme der Kritik“ wird eingestellt. Eine Verbeugung vor dem großen Kritiker Friedrich Luft.

Rede von André Schmitz, Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten

zu den bedeutenden legendären Persönlichkeiten der Berliner Nachkriegszeit gehört zweifellos Friedrich Luft. In der gesamten Zeitspanne von der Befreiung 1945 bis zur Wiedervereinigung der Stadt 1990 hat er als Journalist die Berliner kulturellen Ereignisse auf der Bühne und auf der Leinwand kritisch beleuchtet. Seine Kritiken und Essays erschienen in großen Tageszeitungen, zunächst in der „Neuen Zeitung“, kurz darauf in der „Welt“ und später dann in der „Berliner Morgenpost“. Diesen üblichen Weg der Besprechung von Uraufführungen und Neuinszenierungen hat Friedrich Luft ergänzt durch eine bis dahin noch nicht erprobte Form, indem er das Angebot einer neuen Rundfunkanstalt der amerikanischen Besatzungsmacht annahm, die kulturellen Neuigkeiten – zunächst noch ganz Berlins – in einer wöchentlichen Sendung den Hörern über alle Sektoren- und Zonengrenzen hinweg zu vermitteln.

Als Friedrich Luft am Abend des 9. Februar 1946 über den DIAS, den Drahtfunk im Amerikanischen Sektor, erstmals seine Theater- und Filmkritik sprach, war der Riesenerfolg, den dieses neue Format haben sollte, keineswegs abzusehen. Keiner der Beteiligten, und wahrscheinlich auch der Autor selbst nicht, ahnten, welchen Anklang die Sendung bei den Hörern in Ost und West finden würde. Sie sollte schließlich die deutsche Spaltung und damit den Sender selbst überleben und ihren Urheber und Autor bis zu seinem Tode begleiten. Insgesamt hat Friedrich Luft etwa 2000 Sendungen für den RIAS produziert, was etwa 500 Stunden Sendezeit entspricht, verteilt über 44 Jahre.

Geändert hat sich über diesen langen Zeitraum nur einmal der Sendeplatz. Statt wie anfangs der Samstagabend wurde bald der Sonntagmittag zum Stammplatz der Sendung, wenn der Ansager verkündete: „Es ist 11 Uhr 45. Sie hören jetzt die Stimme der Kritik. Bitte, Herr Luft!“ Verabschiedet hat er sich mit einem zeitweise nur leicht variierten Satz, den Sie auch auf unserer Gedenktafel finden werden und der noch heute den Rang eines „Geflügelten Wortes“ einnimmt. „Wir sprechen uns wieder, in einer Woche. Wie immer – gleiche Zeit, gleiche Welle, gleiche Stelle. Ihr Friedrich Luft.   Meine Damen und Herren!  In der Rückschau scheint es keine Probleme mit dieser Sendung gegeben zu haben. Dem war aber nicht so, denn die Programmmacher hatten anfangs Bedenken aufgrund Friedrich Lufts immer gehetzt vorwärts drängenden Stakkato-Vortrags. Doch gerade seine „Stimme“ wurde zu einem Markenzeichen und trug ihm den Necknamen „Thalias rasender Reporter“ ein. Seine Hörer nahmen diese Vortragsweise an, zumal sie verbunden war mit einer klaren Diktion. Die verlangte er von allen anderen auch, besonders von den Journalisten und von den Politikern. In der Tageszeitung „Die Welt“ veröffentlichte er unter dem Titel „Vom Tiefsinn unserer Redner und Schreiber“ sein stilistisches Credo: „keine leeren Worte“, „kein Intellektualismus“, „keine parfümierte Kleisterrede, keine ambitiöse, ausgequetschte Ausdrucksweise“, denn „eine wolkige, undurchschaubare Redeweise ist nicht Tiefsinn sondern Bluff und Lüge“. Daran hielt er sich. Schließlich sollte eines nicht vergessen werden: Friedrich Luft war auch ein zutiefst politischer Mensch: Er war weltoffen und ist zweisprachig erzogen worden (seine Mutter war Schottin). Er hatte im ostpreußischen Königsberg nicht nur Germanistik, Anglistik und Kunst studiert, sondern auch Geschichte. An der Universität geriet er mit nationalsozialistischen Gruppierungen aneinander, was ihn veranlasste die Hochschule vorzeitig zu verlassen. Seine Theaterbesuche in Ost-Berlin (und Berichte darüber) stellte er 1950 ein, weil die Kunst in der DDR nicht mehr frei war. Zu eben dieser Zeit stifteten die Amerikaner eine Replik ihrer Freiheitsglocke, deren Läuten der RIAS unmittelbar im Anschluss an die Stimme der Kritik übertrug, wobei der Schauspieler Walter Franck und später sein Kollege Wilhelm Borchert den in der Glocke eingravierten Schwur rezitierten. Für viele Ost-Berliner blieb Friedrich Lufts Kritik so der einzige Zugang zum West-Berliner Theater- und Leinwandleben, dessen Aufführungen sie nicht sehen und deren Kritiken sie nicht lesen konnten.

Meine Damen und Herren Es ist uns eine besondere Freude heute, zum hundertsten Geburtstag von Friedrich Luft, an einer zentralen Stätte seines Wirkens diese Berliner Gedenktafel übergeben zu können.

Dr. Willi Steul – Intendant Deutschlandradio

Sehr geehrter Herr Staatssekretär André Schmitz, verehrte Gäste, – besonders begrüßen darf ich Frau Ursula Luft und Prof. Friedrich Luft, und Frau Magdalena Kiepenheuer-von Bismarck, Friedrich Luft war ihr Onkel –liebe Kolleginnen und Kollegen,der O-Ton, den wir eben gehört haben, stammt vom 9. Februar 1946:So begann Friedrich Luft seinen ersten Beitrag im DIAS, dem „Drahtfunk im Amerikanischen Sektor“. Die Pilot-Sendung hieß damals noch „15 kritische Minuten“, erst später wurde der Name „Stimme der Kritik“ gewählt. Der DIAS seit zwei Tagen auf Sendung. Viele Hörer konnte er nicht erreichen: Der Empfang des Programms war zu dieser Zeit nur über 500 Drahtfunk- und 1.000 Telefonanschlüsse möglich. Ein halbes Jahr später wurde auf Rundfunk umgestellt und der DIAS wurde zum RIAS – Rundfunk im Amerikanischen Sektor. Friedrich Luft war von Anfang an dabei. Zum Vorsprechen und für die ersten Sendungen musste er noch in das – nach seinen Worten – „schrecklich ungemütliche“ Telegrafenamt in der „kalten Winterfeldtstraße“. Von dort wurde anfangs, vor dem Umzug in dieses Funkhaus, das Programm ausgestrahlt. Das Vorsprechen endete in einer Katastrophe: Die Programmmacher attestierten Luft, seine „verkorkste Redeweise“ sei „dem Hörer nicht zumutbar“, er sei nicht „radiogen“ und in seiner „aufgeregten Diktion geradezu für das Mikrophon Gift“. Trotzdem versuchten sie es mit ihm. Die heftig kritisierte Sprechweise wurde für Friedrich Luft zum Markenzeichen. Luft fesselte die Hörer durch seine ganz eigene Art: Er nahm einen privaten, subjektiven Ton an und sprach den Hörer direkt an. Er drückte sich bildhaft, teilweise umgangssprachlich in geradezu rhythmisch komponierten Sätzen aus. Damit erleichterte er den Zugang zum Genre der Theaterkritik. Und so erreichte Friedrich Luft eine überaus große Popularität bei einer sehr heterogenen Hörerschaft – ganz nach seinem Verständnis der Kritik als „herrlich demokratischem Dienstgewerbe“, für den Lehrer und Anwalt, Apotheker und Studenten ebenso wie für den Gemüsehändler und Schuster. Die klare, einfache Sprache, die Zuhörern auch ohne besondere formale Bildung den Zugang selbst zu schwierigen Themen erlaubt – dies ist eine ewig gültige Richtschnur gerade für die sogenannten „gehobenen Programme“! Doch dies machte nicht allein die Beliebtheit Lufts aus. Es war seine Begeisterung, seine Liebe für das Theater, die die Hörer spüren konnten. Es war auch seine Gradlinigkeit. In seiner Kritik blieb er immer fair und beurteilte stets nach künstlerischen Aspekten. Ideologien oder Richtungsweisungen auf der Bühne lehnte er ab. So kam es dann auch 1950 zum Bruch mit den Theatern in Ost-Berlin. Er stellte fest, hier ginge es nicht mehr um die Kunst, sondern hier befriedige sich die Politik einer ungewählten Minderheit selbst. Die Zuhörer schätzten Friedrich Lufts konsequente humanistische Haltung – so etwa bei seiner Reaktion auf den Mauerbau. Am 13. August 1961 war es ihm unmöglich, in seiner Sendung über „Kunst und Vergnügen“ zu sprechen. Stattdessen gab er seinem Entsetzen freien Ausdruck: „Das Datum des heutigen Tages wird eines der schändlichsten, der unverständlichsten, der widerwärtigsten bleiben auf lange Zeit.“ Die Devise des RIAS „eine freie Stimme in der freien Welt“ zu sein, entsprach Friedrich Lufts Auffassung. Im Jahr 1945 war er kurzzeitig für den sowjetisch geleiteten Berliner Rundfunk tätig. Die Zusammenarbeit beendete Luft nach wenigen Sendungen – nachdem er seinen Verriss eines russischen Filmes abmildern sollte. Beim ersten Gespräch im DIAS stellte er denn auch sicher, dass er Kunst ausschließlich nach ihrer Qualität, nicht jedoch nach ihrer Nationalität, beurteile. In den folgenden 44 Jahren seiner Tätigkeit für den Deutsch-Amerikanischen Rundfunk wurde er in dieser Hinsicht nie enttäuscht. Rückblickend resümiert Friedrich Luft über den im RIAS vorherrschenden „Geist des Hauses“, er habe zu keinem Zeitpunkt auch nur den Verdacht einer Zensur spüren können, keine Kontrollinstanz habe je Einblick in ein Sendemanuskript verlangt. Damit erklärt er auch den Erfolg des Senders, der schon bald verzeichnet werden konnte: „Man hörte heraus, dass wir unsere eigene Meinung sagen konnten, ohne dass man uns einen Staketenzaun um die Rede zog.“ Er lobt dies als die „einzig würdige, richtige, ordentliche und förderliche Art der Arbeit im Funk“, die „Freiheit der Sprache, unreguliert,  ungegängelt“, das „Öffnen des Mikrofons für jeden, der eine saubere Meinung hat“. So verwundert auch nicht, dass der Kritiker für den RIAS Tausende Sendungen produzierte, wie man ohne Übertreibung sagen kann. Denn er war nicht nur die „Stimme der Kritik“, von der es auch mit der morgendlichen „Frühkritik“ eine Kurzfassung gab. Er verantwortete ebenso mehr als dreißig Jahre den Sendeplatz „Mit dem RIAS ins Theater“ und war ständiger Teilnehmer der 350-mal ausgestrahlten Gesprächsrunde „Darüber lässt sich streiten“. Hinzu kamen Sondersendungen, Interviews, Buchbesprechungen usw. usf. Das Ende der Teilung Deutschlands konnte Friedrich Luft noch erleben. Ein Jahr später, im Dezember 1990, starb er. Wie bereits am 13. August 1961 konnte er in der „Stimme der Kritik“ auch nach dem Mauerfall nicht über Kunst reden. Er musste seine Freude und sein „Glücksgefühl“ zum Ausdruck bringen: „Was uns drei lange Jahrzehnte quälte, was diese Stadt besonders grausam hemmte und teilte – jetzt ist das alles wie auf einen erlösenden Schlag aufgehoben, ein politischer Frühling ist von Osten über’s Land gekommen.“ Von heute an erinnern wird hier mit einer Gedenktafel an Friedrich Lufts. Er hat dieses Haus auch wegen seiner Architektur geliebt. Heute sendet von hier nicht mehr der RIAS, sondern Deutschlandradio, der bundesweite Nationale Rundfunk mit seinem Programm Deutschlandradio Kultur. Dieses Hauses steht immer noch für Meinungsfreiheit, hohes Verantwortungsbewusstsein und es steht für die Qualität von öffentlich-rechtlichem Journalismus. Den wir in allen drei Programmen von Deutschlandradio bewahren und pflegen: im Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur und in DRadio Wissen. Die Gedenktafel wird Passanten, Besucher des Funkhauses und uns, die wir hier arbeiten, nicht nur an Friedrich Luft erinnern, sondern mit ihm an die rundfunkhistorische Bedeutung dieses Hauses. Diese Erinnerung mahnt in aller Bescheidenheit an das kostbare Gut eines freien Rundfunks in einem freien Land.

Horst Pillau – Dramatiker, Hörspiel- und Drehbuchautor

In den Sechzigerjahren des alten Jahrhunderts kamen die ersten kleinen Batterieradios auf, sie verfügten über dünne Lautsprecherstimmchen oder Ohrhörer, ambulante Möglichkeit, die Stimme der Kritik auch im Tiergarten, auf dem Paddelboot oder an der Krummen Lanke zu hören. Davon hat man jeden Sonntag um 11.45 Uhr Gebrauch gemacht, Für die Stimme der Kritik sagte man Konzerte ab, verlegte Taufen oder verschob Verlobungsfeiern. Unsere erste Begegnung mit der Stimme der Kritik fand 1960 statt, da standen Curth Flatow und ich im Foyer des Hebbeltheaters, das nun HAU1 heißt und warteten auf den zweiten Teil unserer Uraufführung des FENSTERS ZUM FLUR mit Inge Meysel und Rudolf Platte. Luft, Friedrich Luft selbst, Luft persönlich war im Theater, kam an uns vorbei, sagte: Hier stehen mir zu viele Autoren rum und ging weiter. Damit will ich sagen: Luft hielt Abstand von den Kritisierten, er ging nicht auf Premierenfeiern, saß nicht bei Diener mit den Schauspielern zusammen, nahm nicht an Partys teil, war kein Kumpel derjenigen, die er am Sonntag darauf loben durfte oder am Schlafittchen nehmen musste, die Distanz ermöglichte ihm seine völlige Unabhängigkeit. Er hatte in jedem Theater einen Außenplatz im Parkett, um in der Pause oder nach dem Schlussvorhang möglichst ungeschoren davonzukommen, wenn seine Meinung vorzeitig gefragt war. Bei uns hörte sich Friedrich Lufts Kritik etwa so an: Andauernd knallt es. Uraltwirkungen des Pantoffeltheaters werden betätigt, dass jetzt das Taschentuch der Rührung unverdrossen sich nässt – und gleich die Leute sich wieder scheckig lachen. Im Theater herrschte bald eine Stimmung wie auf einem gehobenen Bockbierfest. Das Hebeltheater hat so lange das Volksstück, das Theater in Hemdsärmeln und Pampuschen gesucht. Also – bitte! Solche Sätze findet man heute nicht mehr, wobei Starkritiker heute nur in E-Stücke gehen und nicht in U-Stücke. Luft hat – dafür bin ich ihm heute noch dankbar und verehre ihn dafür – in seinen atemlosen fünfzehn Minuten niemals die wichtigste Information, den wesentlichsten Bestandteil einer Theaterkritik überhaupt vergessen: die Meinung der Zuschauer, die Reaktion des Publikums, Ablehnung, Beifall, Ovationen, Proteste, vorzeitige Abwanderung oder Rührung – das vermisst man heute in fast allen Theaterkritiken, das findet man in einer von zehn Besprechungen, da gilt nur noch die Meinung der Kritiker.  Vier Jahr später im selben Haus Der Kaiser vom Alexanderplatz, Kriegsende in Berlin, auch hier horcht der Rezensent auf die Stimme des Volkes im Parkett: Wiederbelebung eines längst tot geglaubten Genres handfesten Volkstheaters, in dem Dings und Wasser geweint wird, während das Gelächter noch an der Decke scheppert. Bumsvergnügen an einem Trauma der immer noch beschädigten Stadt. Das Stück lief, nicht zuletzt dank Luft, vierhundertvier Mal en bloc, nur zwischendurch hatte Rudolf Platte, der Langspielplatte, mal drei Tage Grippe – das ist heute kaum noch vorstellbar.  Bei meinem dritten Stück hat die Stimme der Kritik allerdings moniert: Mir hats nichts gegeben, aber die Leute haben sich amüsiert wie Bolle. Ja, das und genau das hat Friedrich Luft so wichtig und so unvergleichlich gut gemacht, das war Trost und Hilfe und dafür war ich auch als Kritisierter dankbar.  Oder Die Troerinnen von Euripides im Schillertheater: Als Krönung und Gipfel – die Körner, herzlich über die Maßen, ein belebtes Monument großer alter Berliner Theaterkunst, eine der letzten Tragödinnen in großer, echter Tragödie. Oh, Königin, das Theater ist doch schön! Lufts Formulierungen waren oft zum Küssen vor allem bei Kiss me Kate in der Komödie: Der Zustand, dass es einen juckt vor lauter fröhlichem Geschütteltsein, kommt auf. Das Publikum japste vor Vergnügen. Man hört die hochbegabte Hannelore Schroth einen Hassgesang auf die Männer abfeuern, man traut seinen Ohren nicht, so kompetent klingt das, so lustig ist es. Nicht zu reden von Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller, die mit ihrem Schlag nach bei Shakespeare fast das Dach vom Hause holen. Fast bei jedem Theaterabend bewegt mich die Frage, was Friedrich Luft zu heutigen Aufführungen gesagt hätte, nicht nur bei Callixto Bieito. Der Theaterspielplan der kommenden Saison sieht so aus: Ingolstadt: An einem Schauerabend treffen Rudolf Heß und NS-Monster auf Frankenstein. Konstanz: Bürgerkrieg im Bordell im Kongo für Mädchen als Kriegswaffen. München: In Du mein Tod verirren sich Muschi und Pimmel im Wald, es geht um Transsexuelle, Lesben und Eierstockkrebs. München: Stück über Angst, Phantasien und Demütigungen über den Fetischort Keller, Schmutzkeller, Schusskeller und Partykeller. München: Die Kneipe der Kinderschänder samt totem Kind, das allen Männern zu Willen war. Friedrich Luft ist mit der Zeit gegangen und war Neuem gegenüber aufgeschlossen, war aber nicht für Thesen- Phrasen- und Kommentartheater und hat auf Werktreue und Professionalität bestanden. Ich bin sicher, er wäre vom heutigen Spielplan nicht begeistert gewesen. Und zum Abschluss etwas sehr Persönliches: ich habe ihn auch als Feuilletonisten verehrt. Er hat die erste Nachkriegszeit mit Sanftem, Leisem, Poetischen und Rührendem begleitet, er nannte sich da Urbanus. Etwa der Hass auf einen Angeber und Sprücheklopfer, einen abstoßenden Widerling, der alles über Wirtschaft, Politik und Frauen wusste, der allerdings einen Vorzug hatte: in einer Gesellschaft rauchte er eine Pall Mall oder Camel oder Chesterfield nach der anderen, das waren damals heiß begehrte langformatige amerikanische Wertgegenstände, obwohl sie so schnell in Rauch aufgingen. Man hasste ihn, man hätte ihn, wie Luft schrieb, am liebsten vor den Hals geschlagen. Aber da geschah das Beschämende. Der rauchende Widerling griff in die Tasche, zog ein Etui hervor und bot uns an. In Heinrichs Augen sah ich es begehrlich aufblinken. Er nahm. Erwin nahm. Ich nahm. Alle nahmen. Und wie Horst dem Spender schließlich Feuer anbot, das hatte nach all dem etwas betont Serviles. Lieber großer Herrgott in deinem weisen Himmel! Warum ist es so schön, etwas in Papier gerolltes, brennendes Kraut im Munde zu halten und den schmutzigen Rauch davon zu saugen? Und warum ist es so schwer, einen Charakter zu beweisen? Warum lässt du uns die Gier so oft über das Gewissen setzen? Lieber Gott, warum ist es so schwierig, ein anständiger Mensch zu sein? Und schließlich, über eine weinende Frau in der Straßenbahn: Sie war keinesfalls schön oder auffällig: Sie stand da und weinte. Nur sonderbar: sonst verzerren sich die Züge der Menschen unter der Trauer. Sonst drückt sich ihr Gesicht unter dem Zucken des zutage tretenden Schmerzes leidend zusammen, wird haltlos, wird hässlich. Aber diese Frau wurde frei unter Tränen. Sie gab sich ihrem anonymen Schmerz im Gedränge einsam hin. Und sie wurde sonderbar schön dabei. Ihr Atem ging freier und tiefer. Und neuer Glanz kam in ihre halboffenen Augen. Ihr Gesicht wurde Ausdruck und Medium ihres Leidens. Sie hatte geweint. Jetzt war abzulesen, dass auch sie eine Seele trug. Tränen können für Sekunden einen Menschen schön machen und wesentlich. Eine Frau hat geweint. Ich will’s mir notieren.

Friedrich Luft lebt nicht mehr, aber solange ich lebe, lebe ich mit ihm.

Kommentare sind geschlossen.