Kostproben – der ‚Michelin‘ und der ‚Gault Millau‘

Der Blick Richtung Weihnachten ist hervorragend geschärft: die wichtigsten Restaurantführer liegen auf dem imaginären Gabentisch. Einige sind eine zu vernachlässigende Größe: der Aral Schlemmer Atlas, ziemlich langweilig und stink konservativ- Bertelsmann: der große Restaurant und Hotel Guide, wirr und ungeordnet, Moderne wird ganz klein geschrieben- Der Feinschmecker: die besten Restaurants, klein und handlich fürs Handschuhfach, klein und nicht immer überzeugend in der Analyse- der Varta Führer: will allen gerecht werden und scheitert natürlich, nicht mal grandios. Wer das gerade mit 2 Michelin Sternen ausgezeichnete Berliner Restaurant ‚Reinstoff‘ wie ein billiges Hotelrestaurant bewertet, disqualifiziert sich. Die Spreu ist vom Weizen getrennt, der Leserblick konzentriert sich auf die Riesen der Branche, auf den Gault Millau (gault-millau-2012) und auf den Michelin   (michelin-2012 ). Seit Jahren versucht der Gault Millau durch freche, forsche, provozierende Texte  auf sich aufmerksam zu machen und dem Michelin das Wasser abzugraben – immer wieder vergeblich. Auch diesmal wieder- allerdings wie immer – grandios  gescheitert. Davon später mehr. Zunächst der Michelin. Er ist und bleibt die Nummer 1. Sterne sind bedeutender als Hauben oder Punkte. Ein Michelin Stern adelt, zwei Sterne krönen und drei sind der Olymp. Egal mit welcher psychologischen Belastung sie für die Betroffenen verbunden ist. Der Entzug kann Existenzen und Leben vernichten. Nils Henkel vom ‚Gourmetrestaurant Lerbach‘ wird den Verlust des dritten Sterns verkraften, weil er sicher innerlich stabil genug ist und von seinem Können überzeugt ist und es auch sein muss, denn er ist einer der besten deutschen Köche. Wahrscheinlich waren die Unsicherheiten, manche Unwägbarkeiten und manches Unverständnis beim Müller gewohnten Publikum dafür verantwortlich. Der Michelin überrascht eben immer wieder und meist positiv: der dritte Stern für Thomas Bühner vom Osnabrücker ‚La Vie‘ ein bemerkenswerter Trommelwirbel. Dann der eigentliche Paukenschlag: gleich 10 neue 2 Sterne Köche. Überraschend eigentlich nur, dass der Berliner Tim Raue – im vergangenen Jahr Hoffnungsträger für den zweiten Stern – leer ausging. Die Republik kann Michelin Umarmungen wunderbar vertragen: 9 drei Sterne Restaurants, 32 2-Sterner und 208 mit einem Stern. Die deutsche Spitzenküche ist präsent und kann sich immer mehr und besser schmecken lassen. Und die Liga unterhalb der Sterne wird immer besser und dichter. Beweis: die 431 Restaurants im Michelin mit dem Siegel ‚Bib Gourmand‘ für „gute Küche zu moderaten Preisen“. Seitdem der Michelin auch ein wenig Text bietet ist er sicher noch interessanter geworden, obwohl der Sprachduktus und der Sprachfluss noch sehr verbesserungswürdig sind. Da quietschen noch die Reifen über Kopfsteinpflaster. Trotzdem: der Guide Michelin ist unverzichtbar, er ist unschlagbar, einfach ein ‚MUSS‘.
Der Gault Millau ist ein merkwürdiges Wesen. Erinnerungen an den glitschigen, schwammigen, wabernden, Piratenkopf im ‚Fluch der Karibik‘ werden wach. Er will den Parcours fehlerlos überwinden, will vieles, will alles und muss einfach daran scheitern. Aber auch ein zweiter Platz ist doch schon erfreulich. Es beginnt mit dem VORWORT, die unnachahmliche Prügel des Chefredakteurs. Diesmal müssen wohl ganze Wagenladungen von Servicekräften dem Maestro auf die Gastroseele getrampelt haben, so heftig und deftig ist seine Kritik an den Servicekräften. ‚Gnadenlos unterbricht er jedes Tischgespräch, um irgendetwas anzukündigen, zu erklären oder zu erfragen. ‘ ‚Schmalspur- Sommeliers mit irgendeinem Diplom quasselten so lange das auswendig Gelernte herunter, dass man ihnen quasi den Mund verbieten musste. ‘ Kohnke jedenfalls fühlt sich in der Zwischenzeit in den meisten Toprestaurants wie in einem Überwachungsstaat. Ein bisschen weniger wäre sicher mehr gewesen – aber das VORWORT ist eben die Stilbibel des Gault Millau und der vorgegebene Sprachstil. Provokation, Anstoß muss schon sein, das liest sich besser und das verkauft sich natürlich auch besser. Vielen Texten merkt man an, wer sie redigiert hat. Welche Bedeutung Individualität für das Unternehmen Gault Millau hat, beweisen die Auszeichnungen von Andree Köthe vom ‚Essigbrätlein‘ in Nürnberg als Koch des Jahres und die Rakete für den Berliner Tim Raue als Schöpfer des ‚Menüs des Jahres‘. Da kann der Michelin noch viel lernen. Ungereimtheiten aber sind immer wieder an der Tagesordnung: warum werden wertvolle Zeilen über das Berliner Reichstagsrestaurant vergeudet – übrigens nur Zitate aus der Karte, ohne Bewertung –  und wo bleiben, nicht einmal erwähnt, die guten Neuen in der Stadt: Valter Mazza, unvergessen mit dem ‚Ponte Vecchio‘ ist wieder da und präsentiert in seinem ‚Ponte‘ wunderbare Köstlichkeiten, genauso wie das ‚Lukullus‘ am Rathaus Schmargendorf. Wo bleibt die kritische Reflektion über ein kleines, perfektes Landgasthaus in der Stadt, ‚Hardys Gute Stube‘ oder das ‚Alte Zollhaus’….und, und, und. Auch hier in Berlin zeigen sich die großen Schwächen des ‚Gault Millau‘. Die Tester sind zulange im Geschmacksring. Alle kennen alle und das wird langweilig; und wenn man sich dann an Texte in Zeitungen erinnert, die fast wörtlich im Guide auftauchen, hat manche Wertung doch einen leichten ’haut gout ‘. Nein, hier müsste dringend renoviert werden oder ist das Wort ‚Rotation‘ ein Unwort in der Redaktion. Auch München ist für mich ein Problemfall: wie viele sinnlose Worte über den großen Schuhbeck und dann keine Wertung und wenn schon ‚Auerbachs Keller‘ in Leipzig textlich geadelt wird, warum dann nicht wenigstens ähnliches für ein Kammerspiel mit Komödienstadl, dem ‘ Brenner‘- und dass das ‚Emiko‘, ein wunderbarer Japaner in der Stadt, auch keine Beachtung findet, ist schon mehr als wunderbare Vergesslichkeit. Aber kehren wir zum VORWORT zurück:
‘lieber sind uns Köche, bei denen wir in Ruhe etwas genießen können, das einfach gut schmeckt. ‘ Auch mir sind Restaurantführer lieber, die man in Ruhe genießen kann und die einfach gut sind. Und das ist der ‚Gault Millau‘.

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