Ich bin Vegetarier! 我吃素

china vegetarier

Unsere Ernährung hat einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Jeder weiß, dass pflanzliche Lebensmittel viele Vitamine enthalten, sekundäre Pflanzenstoffe und auch Mineralstoffe. Sie sollten daher ein fester Bestandteil jedes Speiseplans sein. Aber schmeckt das alles auch? Wie ist es, Vegetarier oder Veganer in China zu sein? Bei meiner letzten Reise in die chinesische Provinz Yunnan bin ich ungewollt dieser Frage nachgegangen.

In Kunming, der Hauptstadt Yunnans, schlenderte ich über vollbeladene Märkte mit Lebensmitteln, bestaunte rund 30 verschiedene Arten von Tofu, sog den Duft unzähliger Sorten von Dampfbrötchen und Fladenbroten ein, schaute auf Paletten mit verschiedenem Gemüse, frisch oder haltbar gemacht, und versuchte mir Namen und Zubereitung ins Gedächtnis zu rufen. China ist eines der besten Länder für Vegetarier, dachte ich. Aber so einfach war es dann doch nicht!
Trotz der buddhistischen Tradition in China gebe es nur wenig Vegetarier, wurde mir erzählt. Für Selbstversorger mag es noch angehen, sich auf den Märkten die Ware auszusuchen. Doch beim Besuch im Restaurant wird es schon schwieriger. Bei der Bestellung deutlich zu machen, dass man kein Fleisch essen möchte, ist keine Garantie dafür, anschließend nicht doch Fleisch serviert zu bekommen. Fleisch ist immer noch ein Statussymbol in China. Die Reichen essen also mehr Fleisch, heißt es. Und alle Ausländer sowieso. Fleisch gehöre einfach auf den Tisch, wurde mir von Liu Shang, dem 50-jährigen, umweltbewussten Restaurantbesitzer vom «Golden Dragon» in einer der kulinarisch angesagten Gassen Kunmings erzählt. So zeige man, wie wohlhabend man sei, fügte er verschmitzt hinzu. Ganz sicher war ich mir bei seinen Auskünften nie, ob er mir nicht das Blaue vom Himmel erzählte. 顾左右而言他; Was sicherlich stimmte war, dass die Nachfrage nach Fleisch die Preise in die Höhe treibe, sowie auch die Fettleibigkeit.

china vegetarierTraditionelle chinesische Küche ist sehr an Gemüse orientiert. Wenn Fleisch nicht das Hauptgericht ist, wird es wie ein Gewürz verwendet, z.B. kann gebratener Tofu mit Fleischwürze überzogen sein. Davon steht jedoch nichts in der Speisekarte. Man kann aber davon ausgehen, dass dem gebratenen Gemüse oftmals zur «Geschmacksverbesserung» Schmalz (Schweinefett) hinzugefügt wird.
Das chinesische Wort für Fleisch (肉), wenn es allein verwendet wird, bezieht sich nur auf Schweinefleisch. Andere Fleischsorten werden gesondert angegeben, z.B. Rindfleisch 牛肉. Wenn ich also bei der Bestellung im Restaurant betone, kein Fleisch zu essen, habe ich lediglich deutlich gemacht, dass ich kein Schweinefleisch essen möchte. So also auch im «Golden Dragon». Liu Shang stürzt lachend in die Küche und bringt mir gebratenes Hühnchen und Rindfleisch. Er weidet sich an meinem verdutzten Gesicht, dann «enttarnt» er das Gericht als geschickt zubereiteten Tofu. Liu Shang klärt mich über die Speisekarten in den Restaurants auf. Die oft blumigen, poetischen Namen sagen nichts über den Inhalt. Wer also auf der Speisekarte «Wehender Duft» liest, ahnt nicht, dass dies würzige Schweinerippchen sind.

China vgetarierZum Abschied gibt er mir den Tipp, den Satz 我吃素 zu lernen. «Ich bin Vegetarier» heißt übersetzt ganz einfach «Ich esse Gemüse»!
Einen nächsten vegetarischen Versuch starte ich beim Frühstück. Die beliebteste Variante ist Klebeteig (油条), also frittierte Teigstangen mit warmer und gesüßter Sojamilch (甜豆奶).
Eine Freundin, die gerade Hongkong kulinarisch durchstreift, berichtete mir folgendes zu diesem Thema: Sie las an einem Restaurant: «Haifischflossen – vegan», «Rind- aus Tofu» und «Sushi – ohne Fisch». Und das geht dann so: Aus Seegras, Austernpilzen und Sojabohnen-Fasern wird eine vegane «Haifischflosse» gebastelt. Sushis, die nach Thunfisch und Lachs schmecken, werden aus Tiefsee-Seegras, kombiniert mit Meeresalgen, hergestellt. Schmeckt das alles wirklich?
In Hong Kong setzen immer mehr chinesische Restaurants auf vegetarische Gerichte. Neben purem Geschäftssinn, weil vegetarisches Essen gerade in Mode ist, behalten sie auch die Gesundheit der Kunden und den Tierschutz im Auge, heißt es in ihrer Marketing-Philosophie. Nicht nur veganes Essen, sondern auch biologischer Anbau erfreut sich mittlerweile wachsender Beliebtheit unter der Stadtbevölkerung Hongkongs. Interessant auch, dass junge Menschen sich ganz der Landwirtschaft und damit einer Arbeit verschreiben, die die Generation ihrer Großeltern versucht hat, ein für alle Mal hinter sich zu lassen, berichtet meine Freundin.

china vegetarier«Heute ist es einfacher, Vegetarier zu sein, als vor 20 Jahren», sagt Liu Shang in Kunming auf meine Frage, ob man in China als Vegetarier bestehen könne. Und fügt hinzu: «Immer mehr Menschen begreifen die Vorteile einer vegetarischen Ernährung.»
Die kulinarische Tradition, zu der auch das gemeinsame Essen gehört, macht eine vegetarische Lebensweise für viele Chinesen zur familiären Herausforderung. Liu Shang erzählt aus eigener Erfahrung von der heftigen Auseinandersetzung am Esstisch, als er bekannt gab, Vegetarier werden zu wollen. Doch der Erfolg der ökologisch orientierten Bewegung ermutige ihn. Sie bediene, davon ist Liu Shang überzeugt, nicht nur den Trend, dass es modern und chic ist, grün zu sein, sondern ziele darauf ab «Herz und Werte der Menschen zu ändern».

Text & Fotos: Margrit Manz,
Margrit Manz ist Journalistin und Chefredakteurin des Magazin Konfuzius Institut, Leipzig/Peking; Magazin RUIZHONG, Berlin/Zürich, www.manz-chinareport.com