Umberto Eco ist tot: Der Fährtenleger – SZ

Er war mehr als ein Schriftsteller. Er war eine intellektuelle Instanz, weit über Italiens Grenzen hinaus.

Nachruf von Irene Helmes

„Wenn man sich in seinem Leben mit Dingen beschäftigt, ändert sich ständig alles. Und wenn sich nichts ändert, bist du ein Idiot.“ Diese Weisheit äußerte Umberto Eco 2009 in einem Interview mit dem Spiegel – und in der Tat galt er als rastloser Denker. Weltweit wurde der Name Umberto Eco jahrzehntelang mit „Der Name der Rose“ assoziiert, aber er war mehr: Bestseller- und Kinderbuchautor, witzig-subversiver Kulturkritiker und Essayist, politisch-moralische Instanz in Italien und vor allem eine akademische Koryphäe.

Eco, am 5. Januar 1932 in Alessandria im Piemont geboren, studierte in Turin Philosophie und Literatur und promovierte 1955 über Thomas von Aquin. Anschließend arbeitete er Kulturredakteur für den Rundfunksender RAI und später für einen Mailänder Verlag. 1975 wurde er nach Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten Professor für Semiotik in Bologna. Er arbeitete auch in Florenz und Rom, doch den größten Teil seines Lebens verbrachte Eco mit seiner deutschen Frau in Mailand. „Aber seltsamerweise ist es mir nie gelungen, Mailand als ‚meine Stadt‘ zu empfinden“, sagte er 2015 im SZ-Interview. Erst nach Jahrzehnten habe er sich mit der Metropole ausgesöhnt und in ihr „eine späte Liebe“ gefunden.

Schon 1962 veröffentlichte Umberto Eco seine Kunsttheorie „Das offene Kunstwerk“, 1968 folgte die erste Auflage seiner „Einführung in die Semiotik“, die bis heute als Standardwerk gilt. 1980 dann wurde er mit dem Mittelalterroman „Der Name der Rose“ über Wissenschaftskreise hinaus schlagartig einer Weltöffentlichkeit bekannt. Der Bestseller verknüpfte die unterschiedlichsten Elemente: Krimi, Historie, philosophische und literarische Anspielungen sowie unzählige Zeichen und Rätsel. Diese Vielschichtigkeit und die Beschreibung mitteralterlicher Gedanken- und Gefühlswelten zog Hunderte von Deutungsversuchen nach sich. Die opulente Verfilmung mit Sean Connery wurde zwar nicht in den USA, aber doch in vielen europäischen Ländern ein Kinohit. Von der Besetzung war Eco jedoch angeblich nicht angetan.

„Wäre ich Strauss-Kahn, meine Bücher handelten vom Sex“

Auch Ecos zweiter Roman „Das Foucaultsche Pendel“ fand begeisterte Leser. Er handelte von Verschwörungen, Irrationalismus und Esoterik und verknüpfte die unterschiedlichsten Quellen, Zeit- und Handlungsebenen. Ecos Fans waren fasziniert von seiner Liebe zu Details und den zum Teil absurd komischen Monologen seiner übergeschnappten Protagonisten. Es folgten noch mehrere Romane ( u.a. „Die Insel des vorigen Tages“, „Baudolino“ und „Nullnummer“), die von Publikum und Kritik unterschiedlich aufgenommen wurden. Auch „Der Friedhof von Prag“ (2011) befasste sich mit Verschwörungen, mit Antisemitismus und gefälschten Büchern. In einem Zeit-Interview sagte Eco: „Alle meine Bücher handeln von Büchern. Wäre ich Strauss-Kahn, meine Bücher handelten vom Sex. Wäre ich Berlusconi, sie handelten vom Geld.“

Apropos Berlusconi: Regelmäßig nahm Eco Stellung zu aktuellen Ereignissen. Einmal drohte Eco gar mit Auswanderung, sollte sich Berlusconi in der italienischen Politik länger halten, und war Mitgründer der intellektuellen Oppositionsgruppe „Libertà e Giustizia“ (Freiheit und Gerechtigkeit).

Ein wesentlicher Teil von Ecos literarischem Werk waren Schriften zur Theorie und Praxis der Zeichen, zur Massenkultur und zur Kunst („Die Geschichte der Schönheit“ und als Gegenstück „Die Geschichte der Hässlichkeit“). In einem 2008 im SZ-Magazin erschienenen Gespräch amüsierte sich Eco über den großen Erfolg der „Geschichte der Schönheit“: „Wir hätten auch ein Telefonbuch unter dem Titel verkaufen können, so sehr rissen sich selbst Verlage aus Osteuropa und Asien um die Rechte.“

Die Mystery-Straße geebnet

„He really loves popular culture“, sagte der Autor Jonathan Coe bereits 1989 im Guardian über Eco. In der Tat – der Italiener gehörte trotz seiner phänomenalen klassischen Bildung nie zu den Intellektuellen, die sich naserümpfend über alles erheben, was nicht in ihr abgesegnetes Curriculum passt. „Es liegt daran, dass ich ein ehrlicher Mensch bin“, anstatt der Begeisterung für Krimis und dergleichen heimlich nachzugeben, erklärte er einmal in der SZ. In Ecos Welt war für mittelalterliche Zeichenrätsel ebenso Platz wie für Comicdarstellungen und die ästhetische Wirkung von Supermodels. Ein Erfolgsrezept. Zu seinem 80. Geburtstag stellte die Welt fest: „Mit ihrer Mischung aus Geheimlehre und Partywissen ebneten Ecos Romane eine Mystery-Straße, die mittlerweile von vielen Dan Browns erfolgreich, wenn auch weniger bildungsbeflissen befahren wird.“

Ecos Glossen erschienen jahrelang im Magazin L’Espresso unter dem Titel „La Bustina di Minerva“. Der Name war von den Streichholzheften der Firme Minerva hergeleitet und die Glossen unterhielten die Leser meist in Form von Parodien, z. B. „Platon im Striptease-Lokal“ oder „Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß“. Der Autor publizierte auch in unzähligen anderen Zeitungen und Zeitschriften – vom kommunistischen Il Manifesto bis zu Fachblättern wie Structuralist Review. Im Laufe seiner Karriere war Eco Mitarbeiter der Unesco, der Fondation Européenne de la Culture und zahlreicher weiterer Organisationen. Bis 2007 lehrte Umberto Eco an verschiedenen Universitäten und hielt zahllose Vorträge. Über 30 Ehrendoktortitel wurden ihm verliehen, außerdem Dutzende italienische und internationale Buchpreise, vom spanischen Prinz-von-Asturien-Preis über das Große Verdienstkreuz mit Stern der BRD und den American Academy Award of Arts and Letters.

Eine Dokumentation zeigte 2012 Ecos sommerlichen Zufluchtsort in der Nähe von Rimini – ein ehemaliges Jesuitenkloster „mit 40 Zimmern und 40 Türen“. Dieses Refugium hat Eco im Alter von 84 Jahren nun endgültig verlassen – er hinterlässt seine Ehefrau Renate Eco-Ramge und zwei gemeinsame Kinder.