Region vom Feinsten – das Restaurant im Hotel Ahlbeck auf Usedom

Usedom ist in. Usedom ist gefragt. Allerdings muss die Insel aufpassen, dass sie nicht in billige Beliebigkeit abgleitet. Bei vielen Geschäften ist leider der Trend zur Beliebigkeit erkennbar. Theorie und Praxis, zwei Parallelen, die sich nicht treffen. Dann ist da der Angriff des ZDF auf die guten Geschmacksnerven durch die biedere Behäbigkeit der Präsentation an der Heringsdorfer Seebrücke. Provinzialität der Worte und der Bilder. Dann ist da der Versuch, kulinarische Verführung zu offerieren, ein Versuch, der voll ins Wasser fällt. Was soll ich auf einer Insel, die wunderbare Grundprodukte hat, Kräuter, Gemüse, Fleisch und Fisch denn um Himmels Willen mit Mango Chutney, Zitronengras, Loup de Mer, argentinischem Rumpsteak, Saltimbocca vom Steinbutt, Apfel-Limonenblatt-Suppe, Supremo vom Schwertfisch, American Cheesecake, Trüffeljus oder Tomka Sud – hoffentlich keine Anspielung  auf den Tarnnamen eines Kampfmittel- Versuchsplatzes der Reichswehr und der Roten Armee : Senfgas, Perstoff, Blaukreuzkampfstoffe. Unbehagen aber kommt schon auf bei der Inselkulinarik:   hochkarätige Allerweltsware, überall zu bekommen, keine Eigenständigkeit, kein eigenes Gesicht, keine eigene Handschrift.  Kopien großer Meister, die dann oft noch in die Hose gehen. Ein 6 Gang Menü für 92 Euro mit Maronen, Gänsestopfleber, Skraij-Mousseline, Trüffelfond, Agnelotti vom Hummer, Ibericoschwein. Und dafür gibt der Gault Millau auch noch  15 Punkte und 2 Hauben. Unverständnis pur. So werden falsche Begierden geweckt, die Aufsteiger ausgebremst, die wenigen Eigenständigen, die wenigen Kreativen. Einer der wenigen, die den Einheitsbrei nicht mitkochen und einen anderen Küchenstil fahren, ist Christian Gottstein im Hotel ‚Das Ahlbeck‘ ( über das Hotel demnächst ein Artikel).

Hier lebt und explodiert die Region und die Saison. Hier wird nicht geschäumt und getrüffelt, das Produkt steht im Mittelpunkt, wird exzellent behandelt und durch ein paar kleine Nuancen zu einer Geschmackskostbarkeit verwandelt. Einfache Gerichte perfekt zubereiten, das ist Gottsteins Credo. Und der Mann hat einiges hinter sich. Zusammenarbeit mit dem jüngsten Patissierweltmeister, 1 Jahr ‚Sea Cloud‘, 5 Jahre Do&Co : Formel1 , Airline Catering, Chefpatissier im Britischen Museum, Katar Airways, Emirates, Singapore Airways, Audi Präsentation über 2 Monate, ATP Masters, Champions League Finale in Madrid. Ein bunter Weltenbummler par excellence, der ungeheure Erfahrung sammelt, mit den besten Produkten arbeitet, wichtige Menschen kennenlernt. Geistiger und kulinarischer Weltenbummler. Dann bremst ihn seine Frau: klare Entscheidung: entweder die Familie und Konzentration auf nur eine Geschichte oder es ist aus. Durch Zufall lernt er die Insel kennen, ist begeistert, denkt: ‚Mensch, wenn du hier leben könntest, das wäre ja sensationell‘.  Noch in Madrid unterschreibt er den Vertrag mit dem ‚Ahlbeck‘ – ein Paradiesvogel landet im Kaiserbad Ahlbeck.

Hier setzt er jetzt seine ganze Erfahrung um: einfache Gerichte perfekt zubereiten, keine Aromaveränderung, keine Zusatzstoffe, keine Halbfertigprodukte, kein Soßenpulver, kein Suppenpulver. Seine Rinderkraftbrühe aufgesetzt mit kaltem Gemüse und kaltem Wasser, köchelt 3 Tage lang. Der Geschmack, unvergleichlich. Er baut sich langsam ein regionales Netzwerk auf: sein Freund ist Fischer, das Rind kommt aus Friesland, das Schwein vom LandWert Hof Stahlbrode, Kräuter und Gemüse von der Insel. ‚Ich lebe hier‘ – sagt er – ‚in einem riesigen Supermarkt‘.

Die Leute akzeptieren ihn und seine Philosophie, die Menschen erfahren ein Gefühl der Wertschätzung. Das Wecken von Wertschätzung, das  ist es, was für Christian Gottstein das Kochen ausmacht. Und diese Wertschätzung erfährt auch der Gast durch seine Kunst und sein Können. Essen wird zur saisonalen und regionalen Lust. Da ist schon mal das Brot

alles wird jeden Tag selbst gebacken, genauso die Brötchen: heute ein Karottenkürbiskernbrot, ein Ahlbäcker Gute Abend Brot und ein Pain Pailasse – dazu ein Sonnenblumenöl mit Zitronengras und Ingwer, herrlich fruchtig/ ein federleichtes Ruccolapesto / ein frischer Tomaten-Schalottensalat und eine kräftige Ziegenkäsecreme.

Zum Auftakt unseres regionalen Menüs ein Kalbszungentatar und lauwarmer blauer Kartoffelsalat. Die Kalbszunge , Geschmack pur von höchster Reinheit , die Meerrettichmayonnaise  eine kitzelnde, prickelnde Unterstützung , der Kartoffelsalat einfach genial, optisch und geschmacklich und das Walnusscrostini eine wunderbare sensorische Abrundung.


 

Eine Spargelcremesuppe ist eine Spargelcremesuppe und und  und:  nicht ganz so: was wie Spargel aussieht sind beileibe keine Spargelstücke, sondern krosse Croutons vom selbstgebackenem Brot. Gelungene Verwirrung und Verführung. Die Suppe federleicht, der Hauch der zarten Bitterkeit eines top frischen Spargels und die kleinen Weizenbrötchen als Crouton-Geschmacksträger. Welch gelungenes Spiel mit der Saison.

 

Boddenzander auf Bärlauchrisotto: Da ist erst einmal der Zander- keine übliche TK Massenware  aus Kasachstan mit 20% Glasur – nein: eine unglaublich frische Ware, boddenumschlungen, zauberhaft  zart, schneeweiß, auf den Punkt gebraten, krosse Haut, glasige Samtigkeit. Dann der Drahtseilakt: das Bärlauchrisotto, probiert man es solo ist es ziemlich kräftig, intensiv bärlauchig. Verpokert? Nein. Es entsteht ein zarter Zanderzauber und die Aufhebung der kräftigen Aromatik- es entsteht fast eine literarische kulinarische Mittelerde. Bewundernswert der Mut zur kräftigen Aromatik.

 

Stahlbroder Schweinebauch auf Kartoffelterrine. Das Fleisch ist geschmacklich ein Wahnsinn, kräftig im Ausdruck, natürlicher Duft, ein Schwein, das auf dem LandWert Hof Stahlbrode Natürlichkeit hatte: schnüffeln, wühlen, futtern. Es ist der Geschmack aus Hafer, Leinsamen, Futtererbsen, Sonnenblumen, die das Wunder  schaffen. Harmonie natürlich durch die leichte Karamelisierung des Bauchs; die Zubereitungsmethode: 8 Stunden geschmort. Bestes aus der Region, zubereitet ohne Firlefanz, einfach perfekt im Handwerk und im Umsetzen. Essen macht Spaß.

Zum Dessert eine Schokomousse von kräftigem Äußerem und einer süffigen Schokoschmelze als Kern: eine Kernschmelze der gesunden, glücklichen Art. Die Erdbeeren, Natur pur. Dazu übrigens eine tolle Empfehlung von Daniel Stich, jung, dezent zurückhaltend im Service und bei den Weinempfehlungen – kam gerade von einem Sommelierlehrgang – kein Wein zur Schokolade, sondern einen Rum, ein Ron Zacapa Solera reserva aus Guatemala, gelagert in 2000m Höhe. Volltreffer.

 

Das Ahlbeck ist als  Hotel ein Juwel, das Restaurant mit Christian Gottstein ein Gral der Vernunft, des Könnens, des Wissens. Die Zukunft einer eigenständigen Usedomer Gastronomie hat hier ihre Heimat und  Wurzeln.


 

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