Zum Tod von Umberto Eco-Spiegel Online

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20. Februar 2016, 12:39 Uhr

Zum Tod Umberto Ecos

Der realistische Utopist

Von , Rom

Mit Umberto Eco hat Italien seine wichtigste moralische und streitlustige Instanz verloren. Er war ein Literat, der sich immer wieder ins politische Getümmel stürzte – gegen Berlusconi, die Kirche, die Roten Brigaden, die sozialen Medien.

„Wir haben verloren“, sagte Umberto Eco im SPIEGEL, damals im Sommer 2001. Er hatte die Parlamentswahlen zum „moralischen Referendum“ gegen Silvio Berlusconi ausgerufen. Doch der Medientycoon und Multimilliardär gewann – und durfte zum zweiten Mal die Macht in Rom übernehmen.

Aber Eco gab nicht auf.

Er schrieb weiter, wie schon zuvor, jahrzehntelang, kritische Aufsätze über die Politik, „die nur die Reichen begünstigt“; er versteckte ironische Agitprop-Botschaften in seinen Büchern. Immer wieder gegen Berlusconi oder solche wie Berlusconi, also viele andere in vielen anderen Ländern.

Eco war zeit seines Lebens ein politisches, politisierendes Wesen. Ein Utopist, wie viele seiner Romanfiguren. Ohne Utopie, sagt Eco, kann die Menschheit nicht auskommen. Freilich ist die Utopie, da ist er sicher, nur so lange attraktiv, wie sie nicht verwirklicht wird. „Als Lenin die Marx’sche Utopie realisieren wollte, wurde es furchtbar.“ Die Utopie, sagt Eco, „ist kein fixes Ziel, sondern immer ein Horizont in Bewegung“.

„Auf wundersame Weise vom Glauben geheilt“

Er hat gelesen und geschrieben, wie ein Besessener, sich verschanzt und versteckt – und sich doch immer wieder ins politische Getümmel geworfen. Eco war der ernsthafteste und deshalb wichtigste Kritiker der politischen Vorgänge in Italien und weit darüber hinaus. Er war eine moralische, aber streitlustige Instanz.

Angefangen hat er mit der Kirche. Während der Arbeit an seiner Dissertation über den heiligen Thomas von Aquin habe er aufgehört, so erzählte er, an Gott zu glauben. Er trat aus der katholischen Kirche aus und spottete: „Man kann sagen, dass er, Thomas von Aquin, mich auf wundersame Weise vom Glauben geheilt hat.“

Nach der Kirche kamen so ziemlich alle politischen Kräfte irgendwann einmal an die Reihe. Die Roten Brigaden, die Italien mit Bomben und Attentaten besser machen wollten. Aber auch die Justiz, die mit dem „roten Spuk“ aufräumen wollte.

Wider die „Ideologie des Spektakels“

Er nahm sich auch die „Ideologie des Spektakels“ vor, die ihren Anfang in den USA nahm und später überall in der Welt seriöse politische Auseinandersetzungen verdrängte. Schon 1960 mit der Wahl von John F. Kennedy zum amerikanischen Präsidenten habe das angefangen, dass „der besser aussehende, telegenere Kandidat“ die Wahlen gewinnt. Und seitdem konkurrierten dort regelmäßig „zwei Parteien, die beide von Wirtschaftskräften kontrolliert werden, um die Wähler“.

Und die Wähler entscheiden sich dann meist nach dem medialen Erscheinungsbild der Kandidaten. Die repräsentative Demokratie drohe sich in der Ära der Globalisierung auch in Europa auf diese Weise auszuhöhlen – „und Berlusconi ist wohl nur eine Art Avantgarde“.

Aber auch die Gegner Berlusconis konnten nicht mit Gnade rechnen. Die Ausbreitung der sozialen Medien im Internet kommentierte Eco: „Sie erteilen Legionen von Dummköpfen das Wort.“

Vor dem Aufflammen neuer Religionskriege in einer intoleranten Welt warnte Eco schon 2001 in weiser, aber machtloser Voraussicht. Das „leidenschaftliche Festhalten an vereinfachenden Gegensätzen, wie etwa wir und die anderen, Gut und Böse, Weiß und Schwarz“ seien immer deren Wurzeln gewesen.

Sich von den schädlichen Vereinfachungen „zu befreien“, wie er hoffte, ist nach den Anschlägen im September 2001 freilich nicht gelungen – wie man in vielen Teilen der Welt sehen muss. Heute klingen seine Appelle von damals erschreckend weltfremd, was gewiss nicht an Eco, sondern an den Zeitläuften liegt: „Wir begreifen uns als pluralistische Gemeinschaft, weil wir es zulassen, dass bei uns Moscheen gebaut werden, und wir nicht darauf verzichten können, nur weil sie in Kabul die christlichen Propagandisten ins Gefängnis werfen. Wenn wir es doch täten, würden auch wir zu Taliban werden.“

Wer sagt jetzt, nach dem Tode Ecos, noch solche Sätze?