Geheimnis des Miteinander: Grashoff’s Bistro in Bremen

Bremen überrascht immer wieder. Die Stadtmusikanten hauen kräftig auf den Pauke. Aus Rot-Schwarz wird wieder Rot-Grün, und die Linken werden salonfähig. Neben Hamburg hat Bremen die meisten Millionäre. Das mit dem Schmuddelwetter ist auch eine Bremer Erfindung, wahrscheinlich, um  unter sich zu sein. Werder spielt die Hälfte der Saison meisterlich, spielerisch leicht und intelligent, dann reicht es nur für den dritten Platz. Die Weser gibt sich mediterran, wie der Arno in Florenz, die Uferpromenade vereint Spanien, Italien und Südfrankreich. Neben der Herrmann-Ehlers-Akademie, dicht am Wasser, ein roter Backsteinbau. An der Seite die Inschrift: Ostpreußen, Pommern, Schlesien. Daneben tobt die Abrissbirne. Politik ist in Bremen überall. Die deutsche Literatur hatte immer einen besonderen Glauben an die Stadt, deshalb taucht auch in der wunderbaren Anthologie „Deutsche Landschaften“, erschienen im S. Fischer Verlag, Bremen nicht auf. Und der Frankfurter Autor Jürgen Roth schreibt in dem Reclam-Band „Öde Orte“ zwei Seiten über Bremen unter dem Titel „Bremen sehen und dann weiterfahren“. Das Ende, ein Gespräch: „Wieland: ‚Hamburg ist wie Bremen.’ Sokolowsky: ‚Nee. Kiel ist wie Bremen, aber Bremen ist eher so wie Hamburg.’ Und wie ist dann überhaupt Kiel eigentlich? Und wollen wir das wissen?“ Bestimmt nicht. Aber der fast absurde Dialog zeigt die Vielfalt der Hansestadt mit pittoresken Bauten, reizvollen Straßen, anheimelnden Plätzen. Aus einer Atmosphäre kann man viel lernen.                                                                                                                                                                      Grashoff’s  Bistro ist solch ein Ort.   Wir sehen  im allgemeinen nur die Hülle der Dinge, sagt Saint-Exupéry, und bedenken nicht, dass das Wesentliche unsichtbar ist. Hier bei Jürgen und Oliver Schmidt und ihren Frauen Barbara und Elke geschieht ein Wunder, Begegnungen in einer Hülle, die das Wesentliche, nämlich Gastfreundschaft, Behaglichkeit und gute Küche vereinen. Jürgen Schmidt war es, der die Leichtigkeit des sonnigen Südens in die Schwere des kalten Nordens schaffte. Er hat sich von seinen Aufenthalten in Frankreich inspirieren lassen, hat dort das Prinzip „Bistro“ hautnah lieben und schätzen gelernt. Ein Ort an dem viele Menschen verkehren, wo es eine einigermaßen gute Küche gibt, wo man eng beieinander sitzt, Voraussetzung für Kommunikation mit den Menschen. Leichtigkeit im Dasein, Fröhlichkeit beim Genuss, so sind auch schöne Freundschaften entstanden, in Frankreich und hier in Bremen: mit Gerd von Paczensky, Loriot, Angelika Jahr, Klaus Bölling.   Menschen wollen nicht unbedingt in einer Genusskathedrale sitzen. Das Bistro formt allemal eine besondere Art der Gastlichkeit, charakterisiert Menschen über ihre Verhaltensnormen, ihre Sprechgewohnheiten, schafft Besonderheiten über Geräusche. Hier ist es nie still, hier wird immer gesprochen, gelacht, genossen. Essen ist Geselligkeit, das Näherrücken schafft Identität. Schmidts Frankreichphobie ist Bremen gut bekommen. Die Mischung, auch in der Einrichtung, stimmt. Die Bar an der Stirnseite, Palmen im Topf, Lederbänke und schmale, zerbrechlich wirkende Holzstühle, die Tische dicht an dicht – steht jemand auf, wird der Tisch vorgezogen. In köstlichen großen Schränken aus Glas, eine Traum-Weinwelt. An den Wänden moderne Kunst und immer wieder Fotos von Jürgen Schmidt: Dokumentationen, Satire, Heiterkeit. „Menschfotos“, sagt Schmidt, Fotos von Menschen in Bistro-Situationen. Kellner, Gäste, wie sie arbeiten, wie sie essen, Spaß am Leben haben.                                                        12. 00 Uhr, der große Ecktisch ordert 2-mal Kaffee und 2 Wasser. Hinter dem Bartresen der Seniorchef. Tee wird gekocht. Proben einer neuen Mischung. Barbara Schmidt kommt aus der Küche, die Restaurantchefin, schluckt hastig den schnellen Bissen runter. 2-mal Espresso macchiato wird geordert. Herr Hollwin erscheint, laut und freundlich begrüßt, Einkaufstasche, braunes Sakko, braune Hose, randlose Brille, beiger Pulli, weißes Ziertuch. Erst einmal Wasser und ein Glas Wein. Claudia und Mariola mit perfektem Service, umsichtig, einfühlsam, fröhlich – „eine Kollegin fehlt zwar, aber das schaffen wir schon“ – ein kleiner Schluck aus der Espressotasse: „mein Doping“.

12.15 Uhr: das erste Essen kommt  aus der Küche: der berühmte, im Dampf gegarte Schellfisch mit der bezaubernd leichten Senf-Joghurt Sauce. Dazu gebutterte Petersilienkartoffeln. Claudia rührend besorgt,  bereitet zwei kleine Portionen zu und später noch einmal. So bleibt alles warm. Barbara Schmidt zwischen den Tischen, das kleine Bistro füllt sich, Barbara Schmidt singt leise vor sich hin, summt. Gelassenheit, ansteckende Fröhlichkeit, die sich auf die Gäste überträgt.

13.00 Uhr Herr Schulz und sein elegant gekleideter Geschäftspartner steuern zielgerecht auf einen Tisch zu. Stammgäste kennen ihren Platz. Kein Schild. Das gab es nur einmal, im alten Bistro für Gerd von Paczensky. Die Inschrift: immer reserviert für G.v.P. Zwei ältere Herren wie aus der Muppet Show, genießen das Vorrecht des Alters und der Stammkunden, haben einen bequemen Ecktisch, werden aufmerksam umsorgt. Wein und Essen wirken Wunder. Das kulinarische Klima stimmt mit Schellfisch, Atlantik-Kabeljau in der Kartoffelkruste, Spargel-Spaghetti mit frischen Flusskrebsschwänzen, ein Wunder an Leichtigkeit und Geschmacksvollendung: der Spargel hauchdünn geschnitten, wie die Nudeln, dazu eine Soße aus Krebsbutter mit sanftem Chilihauch. Es ist noch immer die Handschrift von Rüdiger König, der fast 40 Jahre mit leichter Hand Bodenständiges zauberte. Der Schellfisch, die gemeinsame Erfindung von Jürgen Schmidt, der selber sehr gut kocht, und ihm. In Bremen gab es freitags immer Schellfisch, einfach runtergeschnitten und ins Wasser gelegt. Für die beiden undenkbar. Fisch im Wasser kochen, das ist Blödsinn, so etwas kann nicht gut sein. Heute schwärmen Generationen vom Fisch, gedämpft und von der leichten Senfsauce mit den Geheimnissen: Dijonsenf, Joghurt und flüssige Butter. Rüdiger König starb vor einem Jahr bei einem Flugzeugabsturz über dem Hamburger Hafen. Sein Nachfolger ist der 28jährige Christian Wichtrup, schlank, schmal, bescheiden. Seit 8 Jahren ist er  bereits in der Küche, kennt also alle Grashoff’s Tricks. Im Bistro herrscht Zufriedenheit. Das Publikum im gesetzteren Alter. Jürgen Schmidt geht zwischendurch immer wieder zu den Tischen, hier ein Schwätzchen, dort eine kleine Besprechung, Papiere, Fotos.

Die kleine Emilie kommt mit Oma, Mutter und deren Freundinnen. Champagner. Emilie darf nippen. Das Papier auf der Tischdecke ist ein idealer Malblock oder auch Notizblock oder Telefonbuch. Der Umgang miteinander ist herzlich, zwischen Chefin, Chef und Service. Der 12 Uhr Tisch hat nach Kaffee und Wasser noch Wein und Fisch. Ein junges Pärchen erscheint. Jeans und offenes Hemd, Barbara Schmidt begrüßt sie wie alte Bekannte. Vielleicht ein Hauch Zurückhaltung um 13.30 Uhr: ein grob kariertes rotes Hemd, breite Hosenträger, ¾ lange Billighosen, stramme Waden, Rucksack. Er bringt Lautstärke in die angenehme, ruhige, gedämpfte Atmosphäre. Das Bistro wird mit allen fertig, assimiliert sie, duldet sie.  Ein einsamer alter Mann mit FAZ und Hörhilfe genießt sein Rinderfilet, in dünnen Scheiben gebraten mit Essenzia di Balsamico, Parmesan, Olivenöl und Basilikum. Danach ein Schnäpschen. Herr Schulz und sein Geschäftspartner sind bei der zweiten Flasche Jerman Sauvignon angelangt. Am Tresen ein etwa 45 jähriger mit Champagner, stiert still durch alle und alles. Bei ihm scheint der Ursprung der Dinge das Grenzenlose zu sein. Näherrücken schafft bei ihm keine Identität, er lebt sein eigenes Bistro. Auch das ist ein Zeichen der Einmaligkeit hier in Bremen. Gastfreundschaft in allen Formen und mit allen Mitteln. Immer wieder kommt jemand aus dem Delikatessengeschäft, sieht einen Bekannten, geht zum Tisch, schwatzt, nimmt einen Schluck, wird zum Teil der gastfreundlichen Lebenstugend.

Seit 1968 findet hier jeden Freitag ab 17 Uhr der wahrscheinlich älteste und renommierte Stammtisch der Republik statt. Fast ein Stück des Hauses ist Jürgen Schmidts Freund Henry Dieckmann, erfolgreicher Maler naiver Bilder. Jürgen Schmidt erzählt in seiner sanften Art, hanseatisch vornehm, angenehm zurückhaltend, offen: „Am Freitag der ersten Bistrowoche kam um 17.00 Uhr ein Gast, der sich anscheinend sehr wohl fühlte, denn er reservierte wieder einen Platz für den nächsten Freitag um die gleiche Zeit. Er kam pünktlich, aß und reservierte wieder für den nächsten Freitag. Auf meine Frage, warum immer Freitags 17.00 Uhr, erklärte er mir, dass er Bundesbahnbeamter im Ausbesserungswerk Sebaldsbrück sei, täglich von 6.30 Uhr bis 16.00 Uhr arbeite, am Freitag aber nur bis 14 Uhr. Da ging er dann nicht gleich nach Hause, sondern machte Besorgungen in der Stadt, trank irgendwo ein Glas Wein zum Einstieg in das Wochenende – auf ein Bistro wie unseres habe er schon lange gewartet. Am Freitag danach aßen wir zusammen. Meine Frau Barbara gesellte sich schnell dazu, dann weitere Gäste: die bis heute bestehende Freitagsrunde war geboren“. Wer die miterlebt hat, der kennt das Geheimnis des Miteinanderseins.     

Für Jürgen Schmidt bedeutet Gastlichkeit, einen Menschen freundlich aufzunehmen. Das ist kein bloßer Job für ihn; er entwickelt ein Gespür für die Gäste. Seine Triebfeder ist das Ergründen von Dingen, die tief im Menschen verankert sind. „Manchmal tut es gut, sich einfach hinzulegen und nach oben zu gucken“. Seine Frau Barbara verkörpert Herz und Verstand, eine Frau, die keinen Small Talk macht, freundlich Tacheless redet, jeden persönlich anspricht. Tischkultur ist bei ihr einfach und klar. Keine Riedelgläser, „wir sind ein Bistro“ sagt sie. Die Schmidts haben ein ganz besonderes Gastro-Gen – auch der Junior, Oliver, ist ein Genussmensch, der Dinge verkauft, die er mag, und dazu gehören Essen und Trinken.   Man erlebt vollendete Gastgeber, liebenswürdig, gebildet und anspruchsvoll. Bremen überrascht immer wieder.      

Jürgen Schiller

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