Gemischte Genussgefühle im ‚freustil‘ (Binz)

Binz hat mit seiner einmaligen Bäderarchitektur, der quirligen Lebendigkeit und dem samtigen Sandstrand wahrlich wunderbare Asse im touristischen Ärmel. Fehlt eigentlich nur noch eine Kulinarik, die sich abseits von ausgetretenen Pampswegen  profiliert. Die Ansätze sind da, von so la la, über ordentlich, solide Hausmannskost, gute Produkte, bis hin zu immerhin schon beachtlicher Spitzengastronomie. Um die geht es in den nächsten Berichten (Rugard’s Gourmet,) Meersinn, Villa Salve). Beginnen wir mit dem – nach Gault Millau und Michelin 2015 – Spitzenreiter, dem Restaurant ‚freustil‘ im Hotel vier Jahreszeiten, in der Zeppelinstr. 8. Der Michelin gibt einen Stern und eine kurze, knappe Einschätzung: ‚ungezwungen die Atmosphäre….herzlicher Service, der ideale Rahmen für die frische kreative Küche von Ralf Haug.‘ Der Gault Millau ist natürlich, wie immer, wortgewaltig bei seinen 16 Punkten und zwei Hauben, spricht vom Küchenehrgeiz Ralf Haugs, kulinarische Ausrufezeichen zu setzen. Die Ausrufezeichen gab es schon – aber auch Fragezeichen bei der Umsetzung guter Ideen, bei der Präsentation, beim Service, bei der Atmosphäre insgesamt. Über Stilfragen lasst sich bekanntlich trefflich streiten und dennoch, wenn sich kein echter Wohlfühlfaktor einstellt, kein behaglich entspanntes Genießen, dann ist das ‚warum‘ schon ein Punkt für Nachdenklichkeit. Nichts gegen den Service, der perfekt arbeitet – aber auch hier fehlt mir das Gefühl von Persönlichkeit, von Natürlichkeit. Routiniert, lächelnd, freundlich, stellt sich das Gefühl einer gewissen Automatisierung ein. Gastgeber und echte Herzlichkeit schließen sich doch nicht aus.

Zum Menü:

Das amuse bouche: da wirbelte die Küche schon mal ganz gewaltig: Wachtelei und Heu, gebeizter Lachs und Karotte, Rehbouillon, Karottenkuchen.

foto:jschi
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Das Heu leicht angeräuchert verleiht der Sanftheit des Wachtelei’s eine wunderschöne geschmackliche Nuance.  Der gebeizte Lachs ein außergewöhnlich gutes Produkt, sanfte Textur, die leicht säuerliche Karotte ein interessanter Kontrapunkt. Dann noch einmal Karotte, als Kuchen: guter Geschmack, der getrocknete Schinken darin etwas fest-aber diese Struktur macht sich als Gegensatz zur Weichheit des Kuchens sehr gut. Die Rehbouillon ist unumstritten ein kleines Trumpfass.

Jakobsmuschel und Gurke

foto: jschi
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Eine wunderbare Kombination in ihrer geschmacklichen Fülle und Sanftheit. Eleganz und Leichtigkeit. Die Muschel als Meeresschmelz, begleitet von der erfrischenden Gurke, die als Röllchen Würfel umhüllt, Gurkensago löst überraschende Explosionen aus. Der Sud leider zu massiv, zu cremig, zu sahnig. Der optische Knaller natürlich das Beiwerk aus essbaren Blüten .

Kürbissüppchen

foto: jschi
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Samtene Seidigkeit und daneben Kürbis in verschiedenen Texturen, die sich harmonisch einfügen, ein Kürbis Chutney ergänzt das herrliche Zusammenspiel. Der Käse Chip wohl mehr für die Optik, als notwendige Geschmackskomponente.

Wald, Rehrücken, Waldaromen

foto: jschi
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Hier beginnt nun meine Verzweiflung. Wie kann man so viele Elemente, von denen nur drei echt sind, auf einen Teller pressen. Das Rehfilet ist echt und tatsächlich ein  Traum von Fleisch, die Pilze sind echt, gute harmonische Geschmacksergänzung, der Wildschaum ist echt und ein Genuss.  Klare Komponenten sind ansonsten auf dem Teller nicht mehr erkennbar, das Moos schmeckt widerlich, wie miese Marshmelows. Der Rest ist Schweigen.  Ein solcher Teller sieht nach dem Essen aus, wie ein Waldboden nach einer Sintflut. Nicht nur Optik und Ästhetik erleben eine Niederlage auch die bisher erlebte Leichtigkeit erlebt ihr Desaster. Hier arbeitet ein  guter Koch mit guten Produkten und vielen Ideen. Bitte mehr Mut zur Eigenbesinnung. Wenn etwas gut ist, ist es aus sich heraus schon gut, benötigt keine übertriebene Aufbereitung. Ziel muss es doch immer sein, stimmig am natürlichen Geschmack zu bleiben, also alles Überflüssige weglassen, um den wahren Gehalt zu präsentieren, der auf dem Teller liegt. So wird sicher aus einem guten Koch ein hervorragender.