Süddeutsche Zeitung zum Tod von Henning Mankell

In seinen Kriminalromanen wurde Ystad in Südschweden zur Weltstadt des Verbrechens – und Henning Mankell zum Gesellschaftskritiker. Jetzt ist er im Alter von 67 Jahren gestorben.

Von Thomas Steinfeld

Es war Januar, als Kurt Wallander in die Geschichte des Kriminalromans trat. Nass und grau hatte sich der Winter über das fette, schwarze Bauernland gelegt, das die Kleinstadt Ystad im äußersten Süden Schwedens umgibt.

„Mörder ohne Gesicht“ heißt das erste Buch, das Henning Mankell diesem traurigen Kommissar widmete, und wenn er sehen wollte, was der Bauer Johannes Lövgren sah, als er aus dem Fenster blickte, um jenseits der Felder ein geöffnetes Fenster auf dem Nachbarhof zu entdecken, musste er nur aus dem eigenen Fenster schauen: Zu jener Zeit, also um das Jahr 1990, hatte sich Henning Mankell, nach mehreren langen Ausflügen nach Afrika (seine damalige Frau war Entwicklungshelferin gewesen) und in die Theaterarbeit (in den Achtzigern hatte er drei Jahre lang ein Provinztheater geleitet) in dieser Landschaft niedergelassen.

Der Rückzug auf das Land war auch eine politische Entscheidung gewesen: Dort, so hatte er schon im Jahr 1978 in einem Interview erklärt, sei „das Konkrete“ zu finden, die „Kultur des Volkes“.

Als Mankell begann, Kriminalromane zu schreiben, hatte er schon eine kleine Karriere als Schriftsteller hinter sich. Vor allem hatte er Arbeiterromane geschrieben, ein Buch wie „Bergsprängaren“ („Der Sprengmeister“, 1973), in dem der Held das Ideal einer Revolution von der Sozialdemokratie verraten sieht, oder eines wie „Vettvilligen“ („Der Tor“, 1977), das von einem Kommunisten erzählt, wie er sich an die Kollaboration Schwedens mit dem nationalsozialistischen Deutschland und die Internierungslager in Norrland erinnert.

Der Aufklärung sollten diese Werke dienen, auch die Arbeit im Theater, und so vollzog sich, aus dem Bedürfnis nach Anschauung heraus, der Übergang in den Kriminalroman: „Ich hatte mich nie entschieden, Kriminalromane zu schreiben“, sagte Mankell, als Kurt Wallander zu einer volkstümlichen Figur zu werden begann. „Heute durchdringt das Verbrechen alle Schichten der Gesellschaft, auf der ganzen Welt. Ich dachte, dass ich einen Polizisten bräuchte, um unsere Gegenwart kenntlich zu machen.“

Die Gegenwart „kenntlich“ machen

Tatsächlich ist Kurt Wallander ein enger Verwandter jenes revolutionären Sprengmeisters. Er liefert das Bild einer Generation, die sich um ihre Ansprüche auf eine bessere Welt betrogen glaubt und doch nicht von ihnen lassen will. Und nicht nur Kurt Wallander kultiviert den Trotz und das Selbstmitleid in der Enttäuschung, sondern auch die Helden der verwandten Romane – etwa: „Der Chinese“ (2008) -, in denen dieser Kommissar nicht mitspielt (aber doch stets gegenwärtig ist). Den sozialpädagogischen Impetus, die Gegenwart „kenntlich“ zu machen, gab Henning Mankell nicht auf, in keinem seiner Bücher.

Der Wille zur Kenntlichkeit war es auch, der jenes friedliche Bauerland, über das man nicht einmal sagen kann, dass es idyllisch sei, im Laufe von einem Dutzend Kriminalromanen mit grausam zugerichteten Leichen füllte, von „Mörder ohne Gesicht“ (1991) bis „Der Feind im Schatten“ (2010).

Nur dem Außenstehenden erschienen diese Massaker, die sich überall dort einstellten, wo Kurt Wallander sich aufhielt, als Übertreibungen, nicht dem Autor und seinem bald nach Millionen zählenden, treuen Publikum: Keine Untat, die für einen Roman erfunden worden war, konnte so schlimm sein, wie es die realen, von Politikern, Wirtschaftsbossen und Gangstern begangenen Verbrechen in der Wirklichkeit sein sollten.

Vom Erfolg wurde Henning Mankell, im Jahr 1948 in Stockholm geboren, nicht schnell ergriffen. Überhaupt war sein Weg in die Mitte der populären Literatur lang gewesen, angefangen damit, dass er in Sveg aufwuchs, in einer kleinen Stadt in der Mitte Schwedens, der für Zentraleuropäer allerdings schon zur nördlichsten Peripherie gehört (und der nicht weit von den Orten liegt, aus denen Per Olov Enquist und Stieg Larsson stammen). Langsam nur wurden seine Kriminalromane in Schweden populär, und es dauerte bis zum Jahr 1998, bis er in Deutschland bekannt wurde.

Erfolg ohne Grenzen

Dann aber kannte der Erfolg bald keine Grenzen mehr: Etwa vierzig Millionen Bücher von Henning Mankell sollen auf der ganzen Welt verkauft worden sein. Später, als der Erfolg noch größer geworden war und sich Ystad, seiner Romane wegen, nicht nur zu einem touristischen Ziel von einiger Anziehungskraft, sondern auch zu einer bedeutenden Produktionsstätte der Filmindustrie entwickelt hatte, trat Henning Mankell, zum Teil wenigstens, wieder aus der Berufung zum Schriftsteller heraus: Er wurde wieder zum Tribun, zu einem Agitator, dem die Literatur ein Mittel ist, um höhere, realere Zwecke als Literatur zu erreichen.

Von diesem Anspruch künden viele der späten Auftritte, das Engagement für einen selbständigen Staat Palästina wie das unablässige Werben um Unterstützung für Afrika, in dem er dem öffentlichen Interesse um viele Jahre vorausging.

Afrika – das heißt vor allem: Moçambique – war für Henning Mankell, seit jenen Jahren, in denen er auf nicht recht zu ermittelnde Weise mit Entwicklungshilfe beschäftigt war, mehr als eine Gegend, in der er immer wieder lebte und arbeitete. Zu diesem Kontinent gehörte auch in besonderer Weise das Theater, das für Henning Mankell eine volkspädagogische Veranstaltung war und auch dann blieb, als er längst nicht mehr nur für das Provinztheater in Växjö oder das Teatro Avenida in Maputo, sondern auch für große europäische Bühnen schrieb.

Im Theater blieb er weitaus enger den sozialrevolutionären Vorstellungen verbunden, mit denen er zuerst aufgetreten war, als das in seinen Kriminalromanen der Fall war.

In seinen letzten Jahren war Henning Mankell vor allem eine selbständige Figur des öffentlichen Interesses. Er gab das Haus in der Nähe von Ystad auf und wohnte hauptsächlich an der Westküste Schwedens, wenn er sich nicht an wärmeren Orten aufhielt. Er wurde jedes Mal interviewt, wenn es um Afrika und Flüchtlinge ging – und konnte dabei zuweilen von großer Klarheit sein, etwa wenn es darum ging, Flüchtlinge gegen den Vorwurf zu verteidigen, sie würden bei ihren Asylansuchen lügen.

Er starb dann sehr öffentlich, seitdem er im Januar 2014 in einer schwedischen Zeitung bekannt gemacht hatte, dass er an Krebs erkrankt war. Henning Mankell ist am Montag in seinem Heim bei Göteborg in Schweden gestorben. Er wurde 67 Jahre alt.