Zum Tod von Henning Mankell – die FAZ

Von Genugtuung war nicht viel zu spüren, als Henning Mankell vor ein paar Wochen am Telefon auf die Flüchtlingskrise zu sprechen kam. Eher von einer leicht entzündbaren Leidenschaft. „Ich bin sehr besorgt, weil ich glaube, dass diese Frage Europa wieder einmal spalten kann“, sagte er und wirkte dabei wie jemand, der trotz dieser Sorge froh war, einmal über dieses Thema und nicht nur über seine Erkrankung sprechen zu dürfen, nach der in der jüngeren Vergangenheit stets gefragt worden war.

Den Krebs erwähnte er mit keinem Wort. Stattdessen warnte er vor einer Dramatisierung der Lage, wies auf die immer noch geringen Flüchtlingszahlen hin, mit denen es Europa zu tun habe und riet zu politischer Wachsamkeit. Tatsächlich gab es wohl kaum einen Schriftsteller, der sich mit den Schicksalen von Flüchtlingen schon so früh und so lange auseinandergesetzt hat wie Mankell. In vielen auch der acht Kriminalromane, die er dem von ihm erdachten  Kommissar Wallander widmete, spielen sie eine nicht unwesentliche Rolle.

Mankells Haltung war stets klar. Noch am Telefon äußerte er vor kurzem Verständnis für die Lügengeschichten, die sich mancher Flüchtling auf der Suche nach einem besseren Leben ausdenke: „Ich nehme an, ich würde auch lügen – wenn man flieht, um sein Leben zu retten. Es wäre ja dumm, das nicht zu tun.“ Sein Verständnis blieb allerdings nicht abstrakt. In den achtziger Jahren ist Mankell nach Mocambique aufgebrochen, wo er ein Haus besaß und seither stets die Hälfte des Jahres verbrachte. „Ich habe zwanzig Jahre in einem Kriegsgebiet gelebt“, sagte er, „jeder war vom Krieg betroffen.“ Zu helfen versuchte er in Mocambique mit einem Theater, zu dessen Mitgründern er in den Achtzigern gehörte und das er lange Jahre leitete.Mehr zum Thema

Aber auch auf die Lage der Palästinenser im Nahen Osten, die er als Opfer eines israelischen „Apartheid-Systems“ betrachtete, hat er immer wieder aufmerksam gemacht, zuletzt als prominenter Passagier auf jenem Boot, das 2010 die israelische Blockade des Gaza-Streifens zu durchbrechen versuchte, um den Palästinensern Hilfsgüter zu bringen  – eine Aktion, die ihm viel Kritik eingebracht hat.

Aber diese Kritik konnte Mankell gut verschmerzen, nicht nur, weil er aufgrund seiner Lebenssituation zwischen den Welten sicher sein durfte, besser als andere zu wissen, von welchen menschlichen Dramen eigentlich die Rede war. Sondern auch, weil ihn die weltweit rund vierzig Millionen verkauften Exemplare seiner Bücher eine gewisse Unabhängigkeit beschert hatten. Mit seinem Kommissar Wallander hat Mankell den schwedischen Kriminalroman nicht nur wiederbelebt, sondern im Grunde auch erst populär gemacht – die Verfilmungen der Reihe, mal mit dem wunderbaren Krister Henriksson, mal mit Kenneth Branagh in der Hauptrolle, zeugen davon – nicht zuletzt, weil sie als Wiederholungen ja immer wieder im Fernsehen laufen.

Eine Autorität

Dabei erfuhr Wallander wohl vor allem deswegen eine so große Beliebtheit, weil er, wie viele skandinavische Kommissare nach ihm, immer zweierlei war: ein Eigenbrötler mit sozialdemokratischem Herzen, unnachgiebig und unsicher, haltlos, aber im südschwedischen Ystad fest verwurzelt – kurzum:  eine Autorität, die später, als Henning Mankell seine Krimi-Reihe mit dem Roman „Brandmauer“ enden ließ, an Alzheimer erkrankte.

Anfang 2014 ist Henning Mankell selbst erkrankt, an Krebs, wie er damals auf seiner Website schrieb. „Meine Angst ist sehr groß“, schrieb er in einem auch in der F.A.Z. veröffentlichten Text, „aber ich kann sie im Großen und Ganzen unter Kontrolle halten.“ Warum er seine Krankheit nicht mit sich, sondern mit der ganzen Welt ausmache, begründete Mankell damit, dass es hier um Schmerzen gehe, die auch viele andere Menschen beträfen. Er wolle aufschreiben, „wie es ist“. Von diesem Sein handelte auch sein letztes Buch, die Memoiren „Treibsand“. Nun ist Mankell im Alter von 67 Jahren in Göteborg gestorben.