Wann hat es eigentlich in der Volksbühne zum letzten Mal solche Beifallsstürme gegeben, wie am 29. Juni bei der Premiere von „Die spanische Fliege“ in der Inszenierung von Herbert Fritsch? Die Erinnerung verlässt mich. Was sich an einem Mittwochabend abspielte war ein Lachbeben der Stärke 10. Theaterlust pur und ungebrochen. Und das mit einer Komödie, einem Schwank, einer Lächerlichkeit. Franz Arnold und Ernst Bach schrieben das Stück 1913, einen Schwank machten sie sich, der heute eine theaterkomische Präsenz hat, die nur überrascht. Der reiche Mostrichkönig Klinke steht im Mittelpunkt und sein Fehltritt mit einer Varietétänzerin, der ‚spanischen Fliege‘. Der Fehltritt lernt laufen, Klinke zahlt klammheimlich Alimente. Schließlich leben wir 1913 und seine Frau Emma ist die Vorsitzende eines sittenstrengen moralinsauren Vereins. Die Verwicklung nimmt ihren Lauf, als seine Tochter einen Jungen heiraten soll, von dem man annehmen muss, dass er der Fehltritt ist. Die Verwicklung nimmt ihren Lauf mit Gerüchten, Verwechselungen, Erpressung, Lügen – das Elixier des Schwanks zeigt Wirkung. Auf einmal gibt es nicht nur einen möglichen Vater, sondern zweiklein, dreiklein, vierklein, fünfkleine Väterlein. Und daraus kann man 2011 eine Inszenierung machen, die wie ein Wirbelsturm durch das Theater fegt? Ja! Herbert Fritsch ist der große Magier, ein Zauberkünstler mit federleichter Hand und harter Arbeit und Disziplin. So, wie er früher als Schauspieler die Volksbühne aufmischte, oft mit Henry Hübchen, so erobert er sich als Regisseur das Theater und sein Publikum. Das Bühnenbild ist ein fortlaufender Gag, ein Riesenteppich, der sich über die Bühne schlängelt, mit Falten, Untiefen, Hindernissen. Wunderbar zum Stolpern, zum Verstecken, zum ‚unter den Teppich kehren‘. Grandios wird es immer wieder dann, wenn ein Trampolin Aberwitziges an Akrobatik, an Zerrbilder, an komischen Flügen zaubert, verborgen in einer Teppichfalte. Es wird gestolpert, gerutscht, gefallen, geprügelt, gezerrt, gekalauert, das sich die große Bühne nur so biegt. Dazu ein Ensemble vom Allerfeinsten. 3 Schauspieler aber muss ich einfach besonders erwähnen: Wolfram Koch als Ludwig Klinke, Mostrich. Wie Koch den Ertappten, sich Windenden, schuldig – Unschuldigen mimisch über die Rampe bringt, ist grandios. Wie er Akrobatik an den Tag legt, bei Salti auf dem Trampolin, bei Rutschpartien auf dem Theaterboden, beim Stolpern über Falten, beim Knallen gegen Wände, das ist bewundernswert. Und seine Haltung, seine Gestik: mal Kasper, mal Chaplin, mal Gummipuppe und Stolperjungchen. Dann Sophie Rois, die sittenstrenge Emma Klinke. Sie kann mal wieder ihrem Affen Zucker geben und das sind Kalorienberge. Die rostig, brüchige Stimme, mal flüsternd, mal schreiend, die Blicke: verlegen, fordernd, suchend, rätselhaft, überlegen und dann der Salto zwischen Verwundung und Bewunderung. Einfach fabelhaft. Schließlich ChrisTine Urspruch, die ‚spanische Fliege‘? Viele kenne sie als ‚Alberich‘ aus dem Münsteraner ‚Tatort‘, als Assistentin von Professor Börne, wenige kennen sie als Theaterschauspielerin, zum Beispiel als „Ophelia“ im Hamlet am Theater Bonn. Urspruch bevorzugt die Schreibung „ChrisTine“ für ihren eigenen Vornamen, es sei ein „spielerischer Umgang zwischen klein und groß“. Hier in der Volksbühne Koketterie mit der Größe: ‚damals war ich noch ganz klein‘ erzählt sie und streckt sich in ihrer Kleinheit. Wunderbar ihre Körperhaltung als ältere Diva und sensationell ihre Tarantella – der Saal tobt. Glänzend übrigens die Kostüme von Victoria Behr, grelle Farben, plüschig, fließend, auffallend. Immer ist da ein bisschen Wilson, in der Bewegung, im Kostüm, in den roten Apfelbäckchen. Nach 90 Minuten explodiert der Vulkan Publikum, Jubel über Jubel pur. Und das bei einem Schwank. Und das bei einem Stück ohne Regiesezierkunst, ohne tiefenpsychologische Bedeutungsschwere. Theater einfach als Unterhaltung, als Regie- und Schauspielkunst, als Spaß am Abend. Lachen als Befreiung im Theater. Fritsch hat der Volksbühne und uns etwas Besonderes, etwas Großartiges gegeben.
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