„Lehre mich zu leben“

Kann es sein, dass eine Liebesgeschichte zum „Lehre mich zu leben“ appelliert? Ist es nicht die Aufgabe, wenn man es als solche bezeichnen will, der Eltern, Kindern das Leben zu lehren?
In ihrem Buch „Lehre mich zu leben“ gelingt es Loekie Zvonik ihre Liebesbeziehung zu dem Autor Dirk De Witte einfühlsam zu beschreiben. Wie ihr Geliebter durch sie das Leben aus einer anderen Sicht gelehrt bekommt, es erfährt, es lebt. Aber es dennoch abbricht. Es ist ihre Last, die sie schwer trägt, es nicht geschafft zu haben, das sich Didier (so nennt die Autorin Dirk De Witte in ihrem Roman) von seinen dunklen Gedanken, als Mensch und Dichter wertlos zu sein, trennt.

Die Liebesgeschichte eines großen, intellektuellen Liebespaares

Das Buch „Lehre mich zu leben“ ist autobiographisch. „Ich bin naiv, dachte ich. Vieles, womit die anderen sichtlich etwas anfangen konnten, ging an mir vorbei“. Die junge Germanistik Studentin Hermine begegnet den jungen Studenten Didier. Sie leben gemeinsam während der Studienzeit mit ihren Freunden in Gent, verlieren sich aus den Augen und treffen zu einem Kongress wieder in Wien zusammen. Inzwischen heben beide ihr eigenes Leben, sind beruflich etbliert und familiär gebunden. Das, was sie zu ihrer Studienzeit verband, die Liebe zur Literatur, zu Rilke und zu Hesse, hat jetzt bei ihrem 15 Jahre späteren Zusammenkommen eine neue Qualität, als Liebespaar.
„Es gibt viele Arten zu lieben. Am häufigsten die, in der Hoffnung glücklich zu werden“.
Didier, schwermütig und pessimistisch erhofft sich Hermines Kraft, ihn positiv zu beeinflussen, ihn von seinen Freitod Gedanken umzustimmen. Er liest, nein studiert „Das Handwerk des Lebens“ von Cesar Paverse und „Der Alptraum“ von Norman Mailer. Hermine findet Kommentare in den Büchern, bezogen auf sein nicht lebenswertes Leben.

Jede Zeile des Buches ist lesenswert

Im September, etwa drei Monate vor Didiers Tod, resümiert Hermine: „Wien war mehr als das erneute durchleben der Vergangenheit. Damals in Gent haben wir so Vieles nicht mitbekommen, weil wir in gewisser Weise nicht reif dafür waren, keine Basis dafür hatten. Ich jedenfalls nicht. Alles ist im Schlummerzustand geblieben und taucht jetzt ab und zu auf, endlich gewürdigt zu werden. Das war eins der Grundgefühle, die Wien zu der Erfahrung gemacht haben, wie es war: das Gefühl von Kohärenz, vom zusammenkommen hunderter Kleinigkeiten zu einem sinnvollen Ganzen.“ Resümier Hermine.
„Um mein Haus ist die Heide weiß, die Steppen. Hermine, gibt es Wölfe bei dir in der Steppe? Aber du rettest mich. Rettest Du mich?“ Eine schwere Last, auch für eine reife Frau..
Viele Gemütsverfassungen von Harry Haller aus dem Steppenwolf von Herrmann Hesse sind in Didier. erkennbar. Aber da tötet zum Schluss Harry Haller Hermine, und sich nicht selbst..

Loekie Zvonik (Gent, 1935–Hasselt, 2000) war das Pseudonym von Hermine Louise Marie Zvonicek. Sie studierte deutsche Literatur an der Universität von Gent und schrieb drei Romane und zahlreiche Erzählungen. An der Universität lernte sie den Studenten Dirk de Witte kennen, der später ebenfalls Schriftsteller wurde und sich sein Leben lang intensiv mit den Themen Tod und Suizid in der Literatur beschäftigte. Im Dezember 1970 nahm er sich mit 36 Jahren das Leben. Zvoniks Roman wurde 1975, fünf Jahre nach dem Freitod De Wittes veröffentlicht. Hoch gelobt und mit dem renommierten VBVB-Debütpreis ausgezeichnet, wurde er 2018 in den Niederlanden neu aufgelegt und als bedeutende literarische Wiederentdeckung gefeiert.

Buchcover, btb Verlag

Loekie Zvonik
Lehre mich zu leben
Die Geschichte einer großen Liebe
Originaltitel: Hoe heette de hoedenmaker?
Aus dem Flämischen von Ruth Löbner
btb Verlag, Taschenbuch, Broschur, 208 Seiten,
ISBN: 978-3-442-77389-3

Artikelfoto: Wien Donau, Foto:pixabay